„Dein Gefühlsreichtum passt ja auch auf einen Teelöffel!“
Sagt Harry Potters Freundin Hermione zu ihrem Freund Ron.
Ron tut sich schwer, die Gefühle von Mädchen zu entschlüsseln. Dein Mann übrigens auch! Er findet es nicht nur schwer, deine Gefühle zu entschlüsseln, sondern vor allem seine eigenen.
Unsere Männer entstammen einer Generation von Vätern, die noch folgende (super toll pädagogisch wertvolle) Sprüche raus plauzten:
- „Indianer kennen keinen Schmerz!“
- „Ein echter Kerl heult nicht!“
- „Bist du ein Mann oder eine Memme?“
- „Stell dich nicht so an!“
- „Ach, du heulst wie ein Mädchen!“
und viele weitere, dieser wunderbaren Ergüsse von wahrer Männlichkeit:-) Wenn es nicht die Väter sagten, dann die Gleichaltrigen oder irgendein anderer Kerl in ihrem Leben. Du kannst deinen Mann ja mal danach fragen.
Während wir Mädchen schon immer Gefühle haben durften, sie von unseren Müttern oft verständnisvoll erklärt bekamen, versuchten die Jungen noch krampfhaft, ihre Gefühle auf einen Teelöffel zu quetschen. Doch natürlich gelingt das niemandem. Deshalb suchten sich die Jungen ein Ventil. Dieses Ventil ist bei Männern erlaubt, anerkannt und hat schon der Vater benutzt:
Wut. Aggression.
Bei Aggression handelt es sich um reine Stärke, Potenz: ein starker Primat ist voll von dieser Kraft. Diese Kraft imponiert also seinen Konkurrenten. Deshalb ist diese Emotion auch die einzige anerkannte Emotion, die ein Mann zeigen und folglich haben darf: denn sie signalisiert keine Schwäche.
Es bedarf einiger Übung, Kraft und eigener Unterdrückung, die Jungen durchlaufen müssen, um sich so weit zu gängeln, damit alle Gefühle letztlich Wut auslösen. Manche schaffen es schneller, manche weniger schnell, doch den meisten gelingt es. Die anderen werden von ihren Artgenossen gefressen.
Damit es nicht so einseitig wird, vergrößert sich der Teelöffelreichtum dann später noch ein wenig. Deshalb gibt es zwei Formen von Wut:
1. die explodierende Wut
Sie explodiert in Gemeinheiten, Anschreien, Dinge zertreten und kaputt machen und im schlimmsten Fall natürlich körperlicher Gewalt.
2. die implodierende Wut
Wer kennt sie nicht? Ein Mann der so vor sich in muffelt und schmollt. Er malt mit dem Unterkiefer, er ist nicht ansprechbar, aber du kannst quasi über seinem Kopf die Gedankenblase voller Totenköpfe und Ausdrücke sehen, die er am liebsten auf alles und jedes loslassen würde.
Natürlich bemühen sich heute Väter darum, ihren Söhnen viel mehr Emotionen zu erlauben. Sie versuchen einfühlsam mit ihren Kindern umzugehen. Doch sie selbst kämpfen nach wie vor oft mit den Geistern ihrer Vergangenheit und wandeln jede Emotion in Wut um.
Wie kannst du deinem Mann also helfen?
1. Dahinter blicken
Um selbst mit der Wut deines Mannes besser klarzukommen, ist es wichtig, sie erstmal zu entschlüsseln. Da du seit heute weißt, dass hinter der Wut ein ganz anderes Gefühl stand, kannst du versuchen hinter die Fassade zu blicken. Das ist nicht immer einfach, denn die Wut ist gut geölt, quasi: sie flutscht sofort vor alles andere. Du kannst aber davon ausgehen, dass zuerst Angst, Unsicherheit, ein mickriger Selbstwert, Angegriffenheit, Sorge da stand, wo jetzt die Wut ist: sprich, jedes Gefühl, das sich wie „Schwäche“ anfühlt, Hilflosigkeit.
Wenn die Heizung kaputt ist, wenn das Baby schreit, wenn die Frau unglücklich ist, wenn die Kinder streiten, wenn der Nachbar nervt, wenn der Chef Stress macht, wenn etwas aufregendes bevor steht, … All das kann bei deinem Mann Wut auslösen. Wenn du das weißt, kannst du deinen Mann mit anderen Augen sehen, denn dauerndes Schmollen oder Wütend nervt auf Dauer, die echten Gefühle dahinter sind eigentlich sehr liebenswert.
2. mit ihm darüber sprechen
Wenn dein Mann gerade Holtert und Poltert, würde ich ihn nicht darauf hinweisen, das bestimmt etwas ganz anderes hinter seiner Wut steht. Darüber sprechen würde ich zu einem Zeitpunkt, an dem er gerade entspannt ist. Um nicht besserwisserisch zu klingen (und haha: Wut auszulösen), hilft es Fragen zu stellen.
„Du bist heute wieder wütend gewesen, als Mariechen weinte. Du weißt nicht genau, was du tun sollst und willst ihr unbedingt helfen, oder?“ – „Das verstehe ich gut, mir geht es ähnlich!“
Er wird dich jetzt hören können, er wird sich überraschend verstanden fühlen und positiv reagieren. Wichtig ist dabei, dass auch dein Ton wirklich verständnisvoll ist und nicht wie eine halbe Kampfansage klingt.
3. Bewusstsein schaffen
Wenn du es geschafft hast, dein Verständnis für seine Gefühle wirklich zu signalisieren, kannst du mit ihm darüber sprechen, warum er immer wütend wird. Wahrscheinlich ist er erleichtert, denn es ist sehr entlastend, zu verstehen, warum man etwas tut.
Vielleicht findet ihr den „echten Kerl“ mit seinen „kernigen Sprüchen“ aus seiner Vergangenheit und könnt ihn identifizieren. Dann ist es leichter, in der Situation darauf hinzudeuten, dass jetzt wieder Wut vorgeschoben wurde. Es ist leichter, sage ich, aber es wird vermutlich eine ganze Weile dauern, bis dein Mann wirklich dieses Vorschieben der Wut abstellen kann. Immerhin hat er es sehr, sehr lange Zeit so gemacht, es ist eine alte Gewohnheit und die sind bekanntlich schwer zu ändern.
Du brauchst unheimlich viel Geduld und Verständnis, um ihm dabei zu helfen!!
4. Zeichen
Mein Mann und ich haben eine Zeitlang mit Zeichen gearbeitet: ein Wort, das ich sagen kann, wenn er in die Wut einsteigt, anstatt das echte Gefühl zu spüren. Das hat gut geholfen. Man muss sich nur selbst immer wieder daran erinnern.
5. Durchhalten
Es erfordert sehr viel Kraft und Verständnis von dir, hinter die Wut-Fassade deines Mannes zu blicken und ihm zu helfen, sich selbst zu erkennen. Aber es lohnt sich auf jeden Fall, diese Kraft zu investieren! Zum einen wird dein Mann, wenn er sich selbst verstehen lernt, auch deine Gefühle besser entschlüsseln, zum anderen ist es natürlich sehr wichtig für seine Kinder. Vor allem für seine Söhne. Denn was Papa vorlebt ist ebenso wichtig wie das, was er sagt und da kann er noch so gefühlvoll daher reden, solange er sich mit Wut über jede Emotion rettet, werden deine Söhne es ihm früher oder später nachtun.
Ein Versäumnis aus der Vergangenheit aufzuarbeiten, ist viel Arbeit. Aber wer keine Versäumnisse und schwarze Löcher aus der Vergangenheit hat, der solle den ersten Stein werfen: leider gibt es in der Regel die rundum glückliche und perfekte Kindheit nicht. Sonst hätten wir ja auch keine Aufgabe für unser Leben.
Für viele Männer ist es eben eine große Aufgabe, ihren Gefühlsreichtum auf eine Suppenkelle zu erweitern, oder später vielleicht sogar auf eine Schneeschippe.
Manche schaffen es auf eine ganze Lastwagenladung.
In Betonmischergröße: Wow!!
Ich bin gespannt, was du von deinem wütenden Mann berichten kannst!
sei liebevoll statt gestresst,
Susanne Bregenzer
Bildnachweis: AnnaKovalchuk, Pixabay, 18. September 2016