Erziehen ohne Schreien – 10 Wege, wirklich mit dem Schreien aufzuhören

Erziehen ohne Schreien

Sie sieht das kleine Gesicht.

Es wird ganz starr und der Mund ist ein Strich.

Große, erschrockene Augen. Und sie weiß schon jetzt, sie wird sich so sehr dafür schämen, ihre Tochter angeschrien zu haben. Kann es trotzdem nicht stoppen, „es“ schreit einfach irgendwie. Sie will das nie wieder erleben. Sie wollte doch immer erziehen ohne Schreien!

Wenn du im Internet „Erziehen ohne Schreien“ eingibst, dann kommen ein paar Artikel, in denen mit freundlichem Ton erklärt wird, was du statt dem Schreien auch machen könntest. Ruhig reden. Ansehen. Klar und freundlich. Ich-Botschaft. Und so weiter.

Das sind tolle Tipps und solange du nicht tiefer gehst, ungefähr so sinnvoll, als würde man einem tollwütigen Tiger Verkehrsregeln beibringen wollen. Denn: Mütter schreien ja nicht ihre Kinder an, weil sie glauben, dass es gut wäre – viel mehr haben sie die Kontrolle verloren. Das emotionale Hirn regiert und das Schreien bricht einfach so heraus.

Die meisten Mütter wissen ohnehin, was richtig wäre. Erziehen ohne Schreien nämlich, oder? Und wie kann man jetzt tiefer gehen? Wie kann man das „unkontrollierte Brüllen“ direkt an der Wurzel packen? Hier sind 10 Wege, um wirklich mit dem Schreien aufzuhören

 

1. Hohe Ansprüche an sich selbst

In Zeit von Instagram und Facebook, Tiktok usw. brauchen wir nicht mal mehr Persil-Werbung zu schauen, um ständig mit Idealen konfrontiert zu werden, die vollkommen unerreichbar scheinen. Da strahlt die erfolgreiche dreifach Mutti, immer schlank und gut frisiert in die Kamera. Ihr Haus ist perfekt eingerichtet und hell und immer aufgeräumt. Ihre Kinder lachen und strahlen ebenfalls, sind gut in der Schule, hübsch und immer wie aus dem Ei gepellt. Sie helfen im Haushalt, kochen gerne, haben ihre Hausaufgaben sowieso schon erledigt und wenn sie widersprechen, dann lachen alle gemeinsam darüber und nehmen sich gleich darauf in den Arm. Sie erzieht ihre Kinder selbstverständlich partnerschaftlich und ohne Schreien.

Natürlich „simuliert“ auch die Instagram-Mutti Probleme, die sind dann leicht zu lösen und wirken wie aus Plastik und wenn wir versuchen diese Lösung nachzumachen, dann kommen wir uns vor, wie die Unzulänglichkeit in höchst eigener Person.

Aber wir brauchen gar nicht Instagram dafür. Es reicht Bullerbü zu lesen, in eine Krabbelgruppe zu gehen („mein Kind schläft schon durch!“), mit der Schwiegermutter zu sprechen, oder an die eigene Kindheit zu denken („Ich werde in der Erziehung nie schreien, wie meine Mutter!“): Wir scheinen ein bisschen wie ein hohe-Ansprüche-Magnet zu sein als Mutter und das setzt uns einem enorm hohen Druck aus. Und was steckt dahinter? Wieso sind wir eigentlich so anfällig für extrem hohe Ideale?

2. Ich bin nicht gut genug!

Ich glaube hohe Ideale können gerade dort Druck auslösen, wo ein Gefühl von „nicht gut genug sein“ tief in uns lebt. Wann fühlen wir uns denn je als „gute Mutter“? Wann sind wir eigentlich zufrieden mit dem, was wir leisten? Das Mutter-sein kann hier eigentlich nur der Katalysator sein, nicht die Ursache, das Gefühl nicht zu genügen war schon viel früher da. Oder?

Abhilfe: Du kannst versuchen, dieses Gefühl von „nicht gut genug“ erstmal nur wahrzunehmen, es vor sich selbst einzugestehen und dich dem Schmerz darüber stellen. Ich glaube, man kann es nicht einfach „fortwischen“ – aber indem wir es spüren und anerkennen, dass es uns immer wieder über unsere Grenzen hinaus antreibt, nehmen wir ihm ein wenig die Macht.

3. Doppelbelastung

Beruf und Familie – ein Wert der Emanzipation und ein Befreiungsschlag. Das Geld-verdienen und Kariere-machen hängt nicht mehr allein am Mann, das Familie-umsorgen und Erziehen nicht mehr allein an der Frau – so ist jedenfalls das neue Ideal.

Die Wirklichkeit ist in vielen Familien leider noch immer ganz anders. Oft übernehmen Frauen noch immer die ganze „mentale Last“ in der Familie. Also nicht nur die Versorgung der Kinder, sondern auch das Koordinieren der Elterngespräche, Zahnarzttermine, Kindergeburtstage, Geschenke, U-Termine, Kita-Feste usw. Sie sind außerdem zuständig für den Haushalt und dafür, zu kochen. Ich bekomme gerade zu diesem Thema so viele Mails von verzweifelten Frauen, die nicht mehr können.

Und es liegt auf der Hand – wer nicht mehr kann, dessen Nerven liegen blank, der kann einfach manchmal auch nicht mehr Erziehen ohne Schreien.

Abhilfe: Vehement und sehr klar für sich selbst einstehen und Hilfe fordern. Nicht ganz einfach, aber einen einfachen Weg gibt es hier vermutlich nicht.

erziehen ohne schreien4. Druck von Außen

Wenn Oma Lotte der Überzeugung ist, dein Kind wäre komplett unerzogen, dann kommt auch schon wieder der Druck. Im Übrigen ist nicht nur Oma Lotte diejenige, die sich ein Urteil erlaubt, sondern auch der Kindergarten, die Schule, die Ergotherapeutin, die kinderlose Freundin und das Paar, das unter euch in der Wohnung lebt, oder?

Druck von Außen kann vor allem bei Frauen einen extremen Stress auslösen und der Stress mündet worin? Natürlich darin, das Kind anzuschreien. Ganz schlimm sind dann Situationen, in denen ein Machtkampf zwischen dir und deinem Kind tobt, in Anwesenheit von Publikum.

Abhilfe: Versuche dringend, solche Situationen zu vermeiden. Wenn besuch da ist, weise dein Kind nicht öffentlich zurecht. Das verletzt seine Integrität und es kann kaum mit Nachgeben reagieren, es muss in den Kampf gehen. Wenn du selbst schon einmal vor Publikum zurechtgewiesen wurdest, weißt du sicher, wovon ich spreche, das wirkt wie ein Dolchstoß für den eigenen Stolz. Flüstere deinem Kind deine Hinweise ins Ohr, nimm es zur Seite oder besprich es vorher oder nachher, nicht in der Situation.

 

Wenn du gleich mehr wissen willst, gehts hier zum Buch:

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5. Erziehungsbild

Anscheinend überholt – jedoch immer noch aktiv ist ein bestimmtes Bild vom Kind, dass noch immer auf uns wirkt. Früher galten ja Schläge als gute Erziehung und die „Bosheit“ musste dem Kind erst ausgetrieben werden, damit es zu einem vernünftigen und sozialen Menschen heranreifen konnte, erziehen ohne Schreien war damals gar nicht das Ideal. Wir wissen inzwischen, dass dies nicht so ist, fallen aber trotzdem oft unbewusst wieder in die Angst zurück, unser Kind könnte ein Tyrann werden.

Wir Menschen sind Herdentiere, Kinder wollen zu einer Gemeinschaft dazu gehören, sie wollen anerkannt und wichtig sein, gebraucht und gerne gesehen werden. Es ist also im Grunde so, dass wir ihnen bloß nicht im Weg stehen müssen, damit sie sich nach ihren Möglichkeiten in eine Gemeinschaft einbringen können. Diese Angst ist also unbegründet, aber es hilft, sie sich bewusst zu machen und das eigene Kind zu beobachten.

Abhilfe: Vertrauen in das eigene Kind haben. Vertrauen und Punkt 9 beherzigen.

6. Sich spüren

„Ich wollte so viel auf einmal“, schrieb mir eine befreundete Mama. „Das war ja eigentlich fast klar, dass es aus dem Ruder läuft“. Zwei Ideen haben wir selbst, eine dritte kommt vom Kind, dann noch zwei Anforderungen von außen, ein Telefonat und der Postbote mit einem Packet aus der Schweiz mit Zollgebühren, die Milch kocht über und wir laufen über Stunden über unserer Kraft und merken es nicht mal.

Irgendwann ist der Ofen aus und das Schreien kommt bei irgendeiner absurden Kleinigkeit. Wir sind eigentlich schon längst am Ende der Kraft und noch immer so viel zu tun.

Abhilfe: Kurz verschnaufen. Überlegen, was noch Sinn macht zu erledigen und das andere erstmal lassen. Nicht einfach, diese Übung, aber möglich.Erziehen ohne schreien

7. Provoziert?

Viele Mütter berichten von ungeahnter Wut, die dem eigenen Kind gegenüber auftritt. Zuerst ist es winzig und unschuldig und klein und irgendwann scheint es doch schon größer, so vernünftig, verständig und dennoch tut es Dinge oder grinst, sodass die Furie plötzlich hervorkommt.

Hier gibt es einen genialen Blogartikel von Daniele Graf und Katja Seide auf dem Blog „das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich zum Wahnsinn“, in dem beschrieben wird, wieso Kinder z. B. dieses Grinsen zeigen: da geht es viel mehr darum, heil aus der Situation zu kommen, zu beschwichtigen.

Abhilfe: schreibe dir deine Gedanken auf, die du über dein Kind hast in folgender Form: „Lina grinst, wenn ich sie schimpfe, und das bedeutet dass: …“ Z. B. „Das bedeutet, dass sie mich ärgern will“. Versuche dir dein Kind wirklich vorzustellen, gehe nochmal in diese Situation, beobachte ihre Körpersprache genau, beobachte dich selbst genau, du schreist sie an, du bist über sie gebeugt, du bist groß und „mächtig“ und sie ist klein. Schau dir an, ob sie dich wirklich ärgern will.

Das ist eine Übung von Byron Katie, die Begründerin von „The Work“, in der es darum geht, tiefsitzende, stressende Glaubenssätze zu überprüfen.

8. Zu viel Text

Ganz besondere Mama-Krankheit, beobachte ich schon seit ich Erzieherin war – und später dann an mir selbst: Reden, reden, reden, reden, reden.

In dem ganzen Text, den wir an unsere Kinder heranschwätzen, könnten wir Bücher füllen. Da ist vor allem immer eine tolle Begründung drin. Da erzählen wir uns selbst, warum wir das jetzt verbieten oder von unserem Kind wollen.

Das Problem: Kinder werden mit der Zeit ein wenig Mutter-taub, weil sie dem ganzen Text nicht folgen können. Wir haben aber das Gefühl, wir würden uns ja seit Stunden den Mund fusselig reden und es hat überhaupt keinen Effekt. Und was kommt dann? Das Schreien.

Abhilfe: Kurze Sätze, klare Anweisungen. Erzähl dir den ganzen Text später selbst oder deinem Partner oder deiner Freundin oder deinem Tagebuch. „Zieh deine Schuhe an. Jetzt.“ Mehr braucht es nicht. Falls das Kind mehr will, fragt es danach. Dann darfst du;-)

Abhilfe: Berühren. Leg deinem Kind die Hand auf den Rücken, nimm es an der Hand, begleite es dorthin, wohin es gerade gehen soll, liebevoll, aber bestimmt.

9. Nein-sagen

Kinder brauchen Grenzen – stimmt das wirklich? Kinder haben Grenzen, viele. Sie sind klein, sie können nicht einfach ausziehen und gehen, wenn ihnen etwas nicht passt, sie kommen nicht an das Schokoladenregal oben im Schrank.

Es sind nicht so sehr Grenzen, die ein Kind braucht, also so etwas wie „beim Essen schmatzt man nicht“ oder „sag Danke!“, es sind viel mehr die persönlichen und authentischen Grenzen, die sie brauchen: Echte und ehrliche Bezugspersonen, die auf ihr Verhalten reagieren.

Nicht umsonst hat der dänische Familientherapeut das Buch „Nein aus Liebe“ geschrieben, weil ein ehrliches „Nein“, manchmal liebevoller ist und wirkt, als ein gequältes „Ja“ das eigentlich ein Nein ist. Zu viele überrollte „Neins“, auf die du selbst nicht hörst, ergeben nämlich ganz schnell folgendes: Und wieder bricht der Schreier hervor und schreit dein Kind an.

Abhilfe: Gewöhne dir kein „pädagogisches“ Verhalten deinem Kind gegenüber an, versuche du selbst zu sein. Wenn es dich beschimpft oder schlägt, dann kannst du aufstehen und weggehen, dich abwenden, zeigen, dass es dir weh tut.

10. Achte auf die Signale deines Körpers und beachte deine eigenen Grenzen, dann kannst du erziehen ohne Schreien.

Wichtig ist also beim Erziehen ohne Schreien genau hinzuschauen: Wann schreie ich mein Kind an? Und in welchem Zustand war ich schon zuvor? Welche meiner eigenen Grenzen habe ich einfach nicht beachtet und wo hab ich mich überfordert und wie lange tue ich das schon?

Erziehung ist immer vor allem Selbst-Erziehung. Wenn wir ständig über unsere Grenzen gehen, dann geben wir hier ein Vorbild für unsere Kinder ab: Die entweder ebenfalls unsere Grenzen mißachten (Schlagen, Beschimpfen, ..) oder selbst dazu neigen, ihre Grenzen nicht ernst zu nehmen.

Und dann zu handeln: Wie kann ich Situationen von vorn herein so gestalten, dass ich nicht an den Rand meiner Kräfte gerate? Und wo muss ich auch einfach zugeben, dass ich es nicht schaffe und „nein“ sagen?

Wenn du noch tiefer in das Thema einsteigen willst, dann wirf doch einen Blick auf mein neues Buch: „Entspannt als Mama – Erziehen ohne Schreien“, das leicht zu lesen ist, auch im stressigen Alltag. Hier findest du z. B. in Kapitel 15 „1. Hilfe-Maßnahmen bei gut gemeinten Ratschlägen“ und lernst gemeinsam mit der Beispielmutter Jasmin, wie du deine eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und erfüllen kannst und endlich raus aus der Opferrolle gelangst.

Deine Susanne

 

Bildnachweis: Depositphotos_196484394_l-2015, Depositphotos_154366800_l-2015

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